VERBUNDENHEIT und URBAN KNITTING

Verbundenheit ist ein Grundbedürfnis des Menschen, man wünscht sich zu einem anderen Menschen, zu einer Gruppe dazuzugehören, sich gegenseitig zu vertrauen. 1 Sich aufeinander verlassen zu können wirkt wie ein unsichtbares Band, das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten, in andere, in Gemeinschaften, und auf das Gehaltensein in der Gesellschaft. Ein Mangel an Verbundenheit, an ‚Wir-Gefühl’ , schafft Sehnsucht, deren Gefahr die Ersatzbefriedigung ist. Natur, Kultur, Mensch und Stadt sind ein komplex vernetztes System.2 Der Trendforscher Peter Wippermann: „Kuschelig, warm, gemütlich. Nicht das Kalkulierbare, das Kalte, das Schnelle, sondern das Menschliche, vielleicht auch das Natürliche, steht hoch im Kurs.“ 3 Urban Knitting greift gezielt auf die offene Lebensform der Städte zu, die Machtlosigkeit des Einzelnen schwindet durch einen Zugang zu Formen der Selbstbestimmung. 4 „Die Fadeninterventionen markieren eine Praxis der Selbstveröffentlichung, Selbstermächtigung und Selbstbehauptung, die sich als Einmischung und insofern erneute Politisierung des öffentlichen Raums artikuliert, also keineswegs affirmativ, sondern kritisch und subversiv gemeint ist.“ 2 Das weiche Material als Zeichen für die Stadtwelt, kann als Interesse daran verstanden werden, unsere Sinne und Fähigkeiten wahrzunehmen und eine emotionale, aufeinander bezogene Lebensweise zu entwickeln. 2 Die vordergründige Entfremdung des wärmenden Materials, das Bedürfnis des Selbermachens, des Mit-der-Hand-Arbeitens, die Identifikation mit dem fertigen Werk und das „Erleben-Lassen“ machen unter anderem die Faszination für diese neue Kunstform aus. Der öffentliche Raum wird zum Aktionsraum unvorhergesehener Begegnungen. Die Arbeit mit Nadel und Faden wird zum Ereignis und ermöglicht so eine völlig neue Art des Austauschs und der Kommunikation. Das „Gestrickte“ wird zum Zeichen der Verbundenheit, die Zusammenarbeit daran ist eine positive Tätigkeit.4 Kunst bleibt nicht länger etwas Gesondertes (hergestellt von Experten und Künstlern), sondern lässt das Leben eines jeden zum Lebenskunstwerk werden: durch Freisetzung von kreativer Energie, Lust, Kraft und Ohnmacht, einer kritischen Freiheit. 2 Friedrich Nietzsche: ‚Kunst ist Stimulanz fürs Leben’. „Aus dem bloßen Konsumenten von Kunst wird ein ‚co-creator’ (Susan Kattwinkel), der eine Idee (... ) erst zu einem Kunstwerk macht. Das Bewusstsein, dass das eigene Handeln und die eigene Positionierung eine Wirkung hat und dass man die Gesellschaft dadurch gestalten und verändern kann, ist auch entscheidend für die Motivation der Bürgerinnen und Bürger, sich in der Demokratie zu engagieren. Genau darauf zielt Joseph Beuys’ Aussage ab, dass jeder Mensch ein Künstler sei und insofern in der Lage ist, aktiv die Wirklichkeit zu verändern.“ 5 „Der für die Zukunft notwendige Wertewandel wird nicht durch Öko-Predigten gelingen, sondern durch Experimente, Vorbilder, Begeisterung (z.B. Kleingartenparzellen, Workshops, DIY...) und der Arbeit an bestehenden Strukturen.“ 6 Andy Goldsworthy: „... das, was unter der Oberfläche liegt, wirkt sich auf die Oberfläche aus... ich weiß, dass es mehr ist als nur ein Zerfallen und Auftauchen von Material... für mich tut sich hinter dem, was Worte erklären können, eine Welt auf... Worte erfüllen ihren Zweck, aber das, was ich hier mache, sagt viel mehr...“ 7 Albert Einstein: „Jeder intelligente Idiot kann Dinge größer, komplexer und gewalttätiger machen. Man braucht eine Menge Grips – und eine Menge Mut – um sich in die Gegenrichtung zu bewegen.“

1 Friedemann Schulz von Thun 2 Pablo Bianchi, Der urbane Blick auf das „Lebenskunstwerk Stadt“, kunstforum, Bd. 218, Oktober-Dezember 2012, Impulse für eine documenta urbana, S. 33-47, hier S.47 3 Peter Wippermann, Editorial Design, Folkwang Universität Essen, Trendforscher, in: Handmade, Kulturmagazin 08/2012, Hurra, wir stecken in der Krise, S. 36 4Marion Strunk, Die Stadt bestricken: Mit Faden und Nadel in der Hand!, kunstforum, Bd. 218, Oktober-Dezember 2012, Impulse für eine documenta urbana, S. 117-131 5 Thomas Krüger/Katharina Donath, Kunst und Demokratie, agora 42, Ökonomie, Philosophie, Leben, Ausgabe 05/2012, S.50 6 Hanne Tügel, Die englische Revolution, Nachhaltigkeit, zwischen Zauberformel und Selbstbetrug, agora 42 Ausgabe 1/2012, S.30-31 7Andy Goldsworthy, working with time, Rivers and Tides, ein Film von Thomas Riedelheimer, Musik Fred Frith, arte edition, eine Filmproduktion mit Arte und WDR, 1998